Um 7:15 Uhr gibt es in der Herberge Frühstück. Das beste in einer Herberge seit ich unterwegs bin: Mit Kaffee zum Nachschenken, O-Saft, verpackte Minikuchen usw.
Um 7:30 Uhr gehe ich los, nachdem Wolfgang, mein Doppelroompartner aus Viana gefragt hat "Machst du heute die Lange?“. Ich: "Äh, wir sind doch hier nicht bei der Olympiade, hier gewinnt nicht der, der als Erster in Santiago ist". Er: "Hast ja recht".
Ich glaube, viele haben noch nicht kapiert, dass es hier nicht um Schnelligkeit und Leistung geht.
Es ist noch stockdunkel, kann gerade noch zwei bis drei Pilger von der falschen Fährte zurückpfeifen, dann geht es an der Schnellstraße entlang Richtung Carrión. Nach ca. zwei km sieht man ein Verkehrsschild:CARRIÓN, 19 km, es geht immer neben der Schnellstraße her und ist nicht interessant, weshalb ich auch keine Bilder gemacht habe.
Im ersten Ort POBLATIÓN DE CAMPOS trinke ich in der Bar / Tienda einen Café solo (Espresso) und fülle meine Wasservorräte auf.
Das Kölner Mädchen steht plötzlich neben mir: Sie ist von Köln losgelaufen und seit ca. 3 Monaten unterwegs. Ich hatte sie vor ein paar Tagen schon mal getroffen und kurz gesprochen.
Irgend etwas stimmt nicht mit ihr, denke ich mir, und gehe ihr nach. Sie ist sehr langsam, als ob sie auf mich warten würde.
Ich spreche sie an: "Ist alles ok mit dir? Na ja, – was ist los?, sag ich kann ich dir helfen?" "Ich bin ein bißchen krank, hoffentlich vergeht das bald wieder", sagt sie. "Du hast aber schon immer ein gescheites Bett und ein Dach über dem Kopf oder?" "Nein, meine Eltern haben das Geld noch nicht geschickt, und ich schlafe seit ca. 14 Tagen im Freien."?!? Bei dieser Kälte? So um die Null Grad immer in den Nächten – unglaublich.
Ich entschließe mich spontan, dem Mädchen zu helfen, zumindest mit einer Herberge für heute Nacht, damit sie mal duschen und richtig schlafen kann, auch ihre Wäsche muss dringend gemacht werden.
Ich denke an Andi, meinen Sohn, der vor einem Jahr unterwegs „around the world“ war und auch des öfteren Hilfe erfahren hat.
Dann frag ich sie: "Wann hast du das letzte Mal was Richtiges gegessen, was Warmes?" Sie weiß es nicht. "Also heute Abend Pilgermenü – ich lade dich ein".
Unterwegs kehren wir in einer furchtbar dreckigen Bar ein: Katastrophe, normalerweise wäre ich sofort weitergegangen, aber Sarah (19 Jahre alt), so heißt das Mädchen, braucht jetzt eine heiße Schokolade, einen VERPACKTEN Kuchen und eine Dose Cola.
Ihr Fuß tut ihr auch weh, und der Kreislauf ist nicht stabil.
In CARRIÓN angekommen, gehen wir sofort ins Kloster Santa Clara (Refugio) und buchen ein Bett für die Nacht. Diese Herberge ist super ausgestattet, so vier bis fünf Betten-Zimmer, keine Hochbetten, fünf Duschen, alle in der Toilette, da kann man sich wenigsten mal umziehen und hat Platz. Ich gebe Sarah mein Rei in der Tube und suche einen Geldautomaten und eine Bar. Der erste Automat hat zwei Mal den Vorgang abgebrochen . Warum auch immer – beim zweiten klappt es dann.
Nach einer kleinen Cervesa geh ich zurück ins Refugio, um mein Tagebuch zu holen. Sarah schläft schon wie ein Stein, in das Zimmer hat sich mittlerweile noch ein peruanisches Pärchen eingenistet.
Jetzt geh ich in die Bar, wo ich Ulli aus Deutschofen und Kathlen aus Hannover wieder treffe. Ich glaub die Kathlen hat sich Felix angelacht, den ich jetzt kennenlerne – why not – ist ja ein hübsches Mädchen.
Jetzt treffe ich auch den portugiesischen Arzt wieder, der gerade seine Wäsche in die andere Herberge bringt, die haben dort eine Waschmaschine und einen Trockner, wie er sagt. Er hat längere Zeit in Amerika gelebt hat, ich habe ihn in Los Arcos kennen gelernt. Komisch, wie man sich immer wieder trifft. Habe gerade noch mit den Wohnmobilpilgern gesprochen: Der Mann hatte auch Polio (Klumpfuss).
Zurück im Refugio: Sarah ist mittlerweile aufgewacht und hat sich geduscht. Sie cremt sich gerade die Füße ein. Mein Gott, die sind ja total kaputt, ja fast schon offen, Blasen über Blasen. Jetzt sehe ich erst die Schuhe. Das ist kein Ausdruck, Treter passt besser. Das sind Billigturnschuhe mit weißer Sohle und blauem Segeltuch an den Seiten. Ich entscheide intuitiv, dass sie mit diesen Tretern nicht weitergeht. Jonas, der in Hamburg Pastoralmusik studiert hat, hilft mir.
Sarah packt die ganze Wäsche zusammen. Ich leihe ihr ein T-Shirt und meine Jacke. Jonas, Sarah und ich gehen nun Richtung Bar, setzen Sarah dort ab, bestellen ihr Cola, heiße Schokolade und ein Riesen-Bocadillo. Jonas und ich gehen zur anderen Herberge (Waschmaschine und Trockner) und geben die Wäsche ab. Dann gehen wir einen Schuhladen suchen, fragen eine Einheimische, die uns direkt zu einem Sportgeschäft führt, in dem ich später für Sarah ein Paar Nike-Walking-Schuhe und Wandersocken kaufe.
Die Wohnmobilpilgerin ist so etwas wie eine Heilpraktikerin, ich bitte sie, sich die Füße von Sarah mal anzusehen. Sie verordnet ein paar Tage Ruhe und kümmert sich in den nächsten Tagen um Sarah.
Anschließend noch das Pilgermenü: Makkaroni, Kaninchen inkl. Wein für 8,00 EUR. Super oder?
So, jetzt haben wir die Sarah wieder einigermaßen auf die Beine gestellt. Leider hab ich meine Stöcke irgendwo im Klosterhof stehen lassen, sie sind nicht mehr da, das ist sehr ärgerlich.
Fazit:
SCHÖN WENN MAN JEMANDEN HELFEN KANN
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